Wenn von der S-Klasse die Rede ist, denkt jeder sofort an Mercedes. Aber nicht an irgend einen Mercedes – in Frage kommt nur die Referenz höchster automobiler Ingenieurskunst, eben die S-Klasse – State of the Art.

Food-Journalisten haben das nahe liegende Wortspiel ESS-Klasse kreiert, ich erlaube mir dieses Prädikat auch dem Steirer Eck in Wien zu verleihen.
Das Steirer Eck ist die Nummer Eins
Das Steirer Eck ist die Nummer Eins in Österreich und gehört zu den 50 besten Restaurants der Welt. Seit dem Umzug 2005 aus der Rasumofskygasse in den Wiener Stadtpark ist aus diesem ein kulinarischer Vergnügungspark geworden. Aber der Reihe nach: Schon 2002 installierte die Familie Reitbauer die „Meierei“ in die Denkmal geschützte, ehemalige Milchtrinkhalle (s.a. gourmino-express.com/Meierei). Fünf Millionen Euro wurden investiert, 2005 war auch der futuristische An-/Neubau, das neue „Steirereck“ bezugsbereit.

Seit 14 Jahren führt Heinz Reitbauer jr. mit seiner Frau Birgit das Restaurant und steht heute an der Weltspitze. Klar, dass die Erwartungshaltung hoch ist, wenn man einen Tisch in diesem Haus reserviert. Und ich will es gleich vorweg nehmen: sie wurde noch übertroffen! Was Küchenchef Heinz Reitbauer aus der Küche schickte und seine charmante Frau Birgit uns am Tisch zelebrierte, hat das „Zeug“ zum Menü des Jahres 2019.

Nach einigen phantasievollen „Grüßen“ aus der Küche, gleich das erste Highlight: Unter die Rubrik Erlebnis-Gastronomie gehört das Gericht Saibling im Bienenwachs gegart, mit gelber Rübe, Sauerrahm, Cayenne-Pfeffer und Limette.

Der Saibling wird am Tisch mit Bienenwachs übergossen, er nimmt die Aromen auf und ist gar, wenn das Wachs erstarrt – neu arrangiert kommt er dann aus der Küche.

Ein Gericht, das sehr selten auf Speisekarten zu finden ist: Gegrilltes Ochsenherz mit Kohlrabi, junger Artischocke und gerösteten Hanfsamen. Das Fleisch fest im Biss, confiert mit dezenten Holzkohle-Grillaromen. Wunderbar zart dann die am Knochen gegarte und gegrillte Lammschulter mit Kamille, Goldrübe und Kohl.

Was als Waller-Gulasch annociert wird, entpuppt sich als knusprig gebratener Waller mit Calamansi, Mispeln und Kamut. Der nächste Gang hört sich martialisch an, ist aber eine rustikal-feine „Schweinerei“: Wildschweinkopf mit Purzle-Haze-Karotten, Ananas und Radicchio. Die Textur und das subtile Säurespiel zwischen Ananas, Radicchio, Balsamessig und knusprigem Buchweizen stimmt.

An dieser Stelle ein großes Kompliment an den Sommelier René Antrag. Seine vinologischen Geistesblitze verdienen höchsten Respekt. Was er für Weine zu den sieben Gängen an den Tisch brachte, war die perfekte Liaison – wie zum Wildschweinkopf den Rotburger Kreuzegg, Weingut Schnabel aus der Südsteiermark. Nicht immer fanden die charakterstarken Weine als Solisten meine Zustimmung. Doch der 2008 Vina Tondonia Bodega Lopez de Heredia, Haro Rioja, oder der 1987 Marsala von Marco De Bartoli, Sizilien, bescherten den jeweiligen Gerichten einen zusätzlichen Quantensprung.

Heinz Reitbauer hat die österreichische K.u.K.- Küche mit all ihren Facetten in eine neue Dimension geführt. Er kocht mit Liebe und Phantasie, innovativ und kreativ – vieles was unter seinen kritischen Augen über den Pass geht (Grenze zwischen Küche und Service), gehört zur europäischen Avantgarde. Seine Philosophie und seine Kochkunst sind gerade heute richtungsweisend, das Thema Nachhaltigkeit ist bei ihm keine Floskel.
So stehen auch Innereien wie Leber, Herz und Nieren auf seiner Speisekarte, ein Tier besteht schließlich nicht nur aus Filetstücken. Bei den Früchten, Gemüsen und Kräutern besinnt er sich auf die Region und alte Sorten. Der Weg in die kulinarische Glückseligkeit muss nicht immer von Langusten, Hummer, Gänseleber oder Kaviar gesäumt sein. Heinz Reitbauer hat eine anderen, noch spannenderen Umweg gefunden.
Mein zweites großes „S“ in Wien, das Hotel Sacher
Wer nicht im Sacher war, war auch nicht in Wien – und sei es auch „nur“ um die berühmte Sacher-Torte zu probieren und die typisch österreichische Kaffeehauskultur zu genießen.

Ich verzichte auf die süße Sünde und sitze am liebsten in der eleganten Roten Bar, genieße das beste Wiener Schnitzel vom Milchkalbrücken (27 Euro) mit einer Flasche Veltliner aus der Wachau, die schon für 35 Euro zu haben ist. Schon beim Betreten des Restaurants nehme ich Habt-Acht-Haltung an und schließe instinktiv mein Jackett. Wo Könige und Kaiser, der amerikanische Präsident John F. Kennedy, der Dalai Lama und die englische Queen diniert haben, erstarre ich nicht vor Ehrfurcht, genieße aber die Gewissheit, im Geist mit den Mächtigen der Welt auf Augenhöhe zu speisen.

Ich bin immer wieder von der fast schwülstigen Farborgie in kräftigem Rot fasziniert, sitze unter dem beeindruckenden Kristall-Lüster und streiche mit steigenden Wohlbehagen über die glatte, blütenweiße, frisch gestärkte Tischwäsche – schöner Essen geht nicht. Im Sommer werden die Glasfronten des Wintergartens geöffnet, so dass eine großzügige Terrasse mit Blick auf die Oper entsteht.

Neu: Seit Januar 2019 gibt es den Salon Sacher, wie gewohnt in perfektem Design, das an Art déco, an die goldenen zwanziger und fünfziger Jahre in Frankreich erinnert. Auf plüschiges Rot wurde hier verzichtet, schwarz, gold und die Trendfarbe Koralle dominieren. Man delektiert sich an Crevetten Cocktail, Gänselebermousse, Trüffelschinken oder Salate Russe. Delikatessen, die schon Anna Sacher ihren Gästen kredenzte. Mit der traditionellen Präparation Absinth mit Zucker und Eiswasser kann man auf vergangene und zukünftige Epochen anstoßen.
Das dritte große „S“ ist für mich das „Schwarze Kameel“
2018 wurde es 400 Jahre alt, und es ist so lebendig wie noch nie.
Das traditionsreiche Haus in der Bognergasse 5 ist eine gelungene Symbiose zwischen Stehimbiss und elegantem Restaurant.

Die belegten Brote haben seit Jahren Kultstatus. Saftiger Beinschinken, Rotkraut- und Maissalat, Linsen- und scharfer Fleischsalat, Matjesfilet mit Apfel und feiner Pfefferschärfe – man muss diese frugalen Köstlichkeiten einmal probieren. Im eleganten Restaurant findet man auf der Speisekarte die Klassiker der Wiener Küche: Das obligatorische Wiener Schnitzel, knuspriges Backhendl, Kalbsrahmgulasch mit Butternockerln oder den Rostbraten vom Zander.

Für alle Fragen ist der unübersehbare Maître Johann Georg Gensbichler zuständig – Restaurantchef, Wein- und Käsesommelier in Personalunion.

…und noch eine aktuelle Wiener/Münchener Personalie
Marco Cristina hat das Stammhaus „Käfer“ in der Prinzregentenstraße in München verlassen. Seit Februar ist er Restaurant-Manager im „Pastamara“ im exklusiven Hotel Ritz-Carlton in Wien. Seine Bogenhausener Klientel wird ihn vermissen. War er doch in den letzten acht Jahren die Seele des Restaurants. Immer gut gelaunt, immer ein Lachen im Gesicht, immer aufmerksam und in Sachen Genuss ein Meister seines Fachs. „Bar con Cucina“ nennt sich sein neuer Wirkungskreis, das Restaurant mit der großen Bar in der Mitte des Raumes.

Aus der Küche kommen sizilianische Gerichte wie Spaghetti mit Bottarga Sauce, Gnocchi Ragusani oder Pacchero alla Norma. Weintrinken macht hier besonderen Spaß: Ritz-Carlton hat dem „Pastamara“ die schönsten und teuersten Gläser aus dem Hause Riedel spendiert. Dass die Weinkarte alle italienischen Regionen abdeckt, versteht sich von selbst. „In bocca al lupo“ – viel Erfolg wünscht das Gourmino-Express Team.
PS: Szene-Kenner der Wiener Spitzenrestaurants fällt auf: Es fehlt noch ein „S“. Spitzenkoch Silvio Nickol im hochherrschaftlichen Palais Coburg. Ihm werden wir bei unserem nächsten Wien Besuch die Ehre erweisen – wie auch Juan Amador, der im aktuellen Michelin-Guide „Main Cities of Europe“ mit dem dritten Stern ausgezeichnet wurde. Zum ersten Mal überhaupt gibt es nun ein Drei-Sterne-Restaurant in Österreich.
Restaurant Steirereck
Im Stadtpark, Am Heumarkt 20
A-1030 Wien
Telefon +43 1 713 31 68
Hotel Sacher
Philharmonikerstraße 4
A-1010 Wien
Telefon +43 1 514 560
Zum Schwarzen Kameel
Bognergasse 5
A-1010 Wien
Telefon +43 1 533 81 25
Hotel Ritz-Carlton
Schubertring 5-7
A-1010 Wien
Telefon +43 1 31188
Mein Tipp: Wer gemütlich, fast familiär und trotzdem elegant wohnen möchte, bucht ein Zimmer bei Barbara Ludwig im Hotel Beethoven am Naschmarkt.
Hotel Beethoven
Papagenostraße 6
A-1080 Wien
Telefon +43 1 587 44 820
DZ ab 88 Euro