Wer über die Champions League der besten deutschen Restaurants mitreden will, muss in seinem Leben mindestens einmal hier gegessen haben: In der Schwarzwaldstube in der Traube Tonbach in Baiersbronn.

Seit 1993 wurde die Schwarzwaldstube unter der Leitung von Ausnahmekoch Harald Wohlfahrt ununterbrochen mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet und gilt seitdem als das beste Restaurant in Deutschland. Auch alle anderen wichtigen Restaurantführer vergaben in diesen Jahren nur Höchstnoten.

Fast alle deutschen Spitzenköche kommen aus dieser kulinarischen Kaderschmiede wie Christian Bau, Kevin Fehling, Klaus Erfort, Thomas Bühner. Heute führen sie eigene Restaurants die auch mit drei Sternen ausgezeichnet wurden (Thomas Bühner ist seit Juli 2019 Marken-Botschafter der LSG Gruppe). Baiersbronn ist das kulinarische Epi-Zentrum der deutschen Spitzengastronomie. In dem schmucken Schwarzwald-Dorf mit etwa 15 000 Einwohnern leuchten zusammen acht Michelin Sterne über drei Restaurants: „Schwarzwaldstube“, Traube Tonbach, 3 Sterne; „Bareiss“, Claus-Peter Lumpp, Ortsteil Mitteltal, 3 Sterne; „Schlossberg“, Jörg Sackmann, Ortsteil Schwarzenberg, 2 Sterne). Für mathematisch Interessierte: auf 1875 Einwohner kommt ein Stern – das ist einmalig in Deutschland!

Doch nun zu meinem Besuch in der „Schwarzwaldstube“. Seit über 30 Jahren besuche ich das Restaurant, viele Menükarten kenne ich fast auswendig und viele Highlights daraus haben ihren besonderen Platz in meiner kulinarischen Vita. Harald Wohlfahrt hat 2017 nach 37 Jahren das Haus verlassen, der neue Küchenchef heißt Torsten Michel, der aber gar nicht so neu ist. Seit 2007 stand er als Souschef an der Seite von Harald Wohlfahrt und war für viele Gerichte mit verantwortlich, die über den Pass gingen. Logische Folge, dass die erfolgreiche Linie auch unter seiner Verantwortung weiter geführt wird.

Das Maß aller Dinge ist auch für Torsten Michel nach wie vor die französische Haute Cuisine, die er gekonnt weiter führt. Wie schon in den letzten Jahren, setzen fernöstliche Aromen und Techniken raffinierte Akzente in der klassischen französischen Hochküche. So auch in meinem fantastischen Menü, das ich gerade in der Schwarzwaldstube erleben durfte. Serviert wird auf klassischem KPM-Porzellan Arkadia (Königliche Porzellan-Manufaktur). Das adäquate Silberbesteck kommt von der Luxusmarke Christofle aus Frankreich.

Schon der obligatorische „Gruß aus der Küche“ offenbart sich als hoch komplexer erster Gang. Carpaccio von wilden Garnelen, Rinder-Tatar mit eingelegter Zitrone, Thunfisch mit Avocado- und Koriander-Dip. Geradezu furios der nächste Gang: geeiste Tomatenbouillon mit Sorbet von getrockneten Strauchtomaten und Dattelcouscous, Staudensellerie und Estragon, das einen Hauch von Anis in die Kreation bringt.

Am Gaumen überrascht der Kontrast der Temperaturen, wie auch das Zusammenspiel von Süße und Säure. Der gegrillte Kaisergranat dann geradezu begeisternd. Beste Qualität in einer leichten Corail-Coulis. Geschwenkte und geröstete Artischocken überzeugen mit perfekter Textur. Die glasierte Steinbutt-Schnitte wird geadelt mit einer Gillardeau-Auster und exklusivem Imperial-Kaviar. Zwiebellauch, Austern-Nage und Champagneressig setzen die Kontrapunkte.

Die Hauptgänge: Das rosa gebratene Medaillon vom Rehbock wird getoppt von zart angebratener Entenleber. Die glasierten Kirschen dazu suhlen sich in einer punktgenau reduzierten Wacholder-Jus. Das köstlich cremige Selleriepüree harmonisiert alle Komponenten. Die Taube aus dem Elsass mutiert auf dem Teller zum Schmetterlingssteak mit Artischocken und sautierten Pfifferlingen.

Mir fällt dazu nur das Prädikat deliziös ein. Gratinierter Lammrücken wird oft serviert, doch hier kommt er mit einer Schalotten-Senfkruste, gegrilltem Bauch und einer Lammjus mit Lammfüßen daher! Überhaupt die Saucen – sie überzeugen durch Glanz, geschmacklicher Tiefe und perfekter Reduktion.

Die Dessert machen nicht minder glücklich: Mega-süße Erdbeeren mit kleinem Baba, Erdbeersorbet mit leichter Chantilly- Creme oder Basilikum Limetten-Soufflé mit Pfirsich-Lavendelsud und Sorbet vom weißen Pfirsich mit Olivenöl – würdige Schlusspunkte eines denkwürdigen Menüs (alle Fotos im Slider, Pfeile anklicken). Doch was wäre so ein furioses Feuerwerk aus der Küche, ohne die würdigen Preziosen aus dem Keller?

Etwa 800 Flaschen weltweiter Provenienz warten auf ihre Bestimmung, die Gäste der Schwarzwaldstube glücklich zu machen. Ich entscheide mich für eine Route des Vins durch Frankreich: Zum Aperitif ein eleganter Champagner Billecart-Salmon Rosé, dann ein fruchtiger Sancerre 2018 Gérard Boulay, à Chavignol zu den Vorspeisen. Der 2013 Meursault „Les Rougeots“ von Vincent Girardin begleitet den Steinbutt. Eine spezielle Selektion für die Traube Tonbach, by Stéphane Gass (120 Euro sind für einen Wein dieser Extraklasse sehr gastfreundlich kalkuliert). Nachdem mir nicht nach Rotwein ist, begeistert zu den Hauptgängen ein voluminöser 2015 Châteauneuf-du-Pape der Domaine de Beaurenard, wie auch ein seltener 2017 Condrieu „Les Eguets“ der Rebsorte Viognier.

Wer eine gewisse Schwellenangst vor heiligen Gourmet-Tempeln hat, dem kann in der Schwarzwaldstube geholfen werden: Maître David Breuer und Sommelier Stéphane Gass agieren mit ihrer Brigade charmant, locker und kompetent, lässig, aber nicht nachlässig. Jedes Gericht wird am Tisch souverän annonciert, und sei es noch so komplex.
Resümee: Ein außergewöhnlicher Abend auf höchstem kulinarischen drei Sterne-Niveau, ich fühlte mich privilegiert – nur wenige Connaisseure durften an diesem 26. Juni 2019 weltweit ähnliches erlebt haben.

Wolfgang Ritter im Gespräch
mit Küchenchef Torsten Michel
Herr Michel, Sie sind seit 2017 Küchenchef Chef in der „Schwarzwaldstube“. Sie sind Nachfolger von Ausnahmekoch Harald Wohlfahrt, der über 25 Jahre lang die Schwarzwaldstube als bestes Restaurant in Deutschland führte. Wie fühlt man sich, wenn man in solche Fußstapfen tritt?
Natürlich erst einmal gut. Ich bin ja nicht von heute auf morgen in diese Situation gekommen. Ich habe mich lange darauf vorbereitet und bin in diese Aufgabe hinein gewachsen.
Hatten Sie sich jemals erträumt, dass Sie an der Spitze eines weltweit so bedeutenden Hauses zu stehen?
Nein, so etwas kann man nicht träumen. 2005 als ich mich neu orientierte, ging die Initiative von Herrn Wohlfahrt aus, der mich für diese Aufgabe motiviert hat. Ich musste als junger Mann mit diesem Angebot erst einmal klar kommen. Ich komme aus Dresden und kochte vorher in der Bülow-Residenz. Und dann bekomme ich ein Angebot in Deutschlands bestem Restaurant zu arbeiten.
Das Restaurant hat seit 1992 ununterbrochen drei Michelin-Sterne. Sie waren viele Jahre als Souschef sicher auch mit verantwortlich für diese höchste Auszeichnungen. Wie viel kann man als zweiter Mann zu diesem Erfolg beitragen?
Es ist nicht nur der Souschef, in der Küche arbeiten 10 Köche, jeder hat seine Aufgabe und jeder trägt mit seiner Arbeit zum Erfolg bei. Der eine bringt Ruhe in die Mannschaft, der andere hat organisatorische Stärken, der andere ist besonders kreativ, jeder hat seine positiven Seiten. Meine Aufgabe ist es, diese zusammen zu führen und ein gemeinsames gutes Ergebnis abzuliefern. Es ist auch eine Motivation für die Mitarbeiter, wenn sie ihre Ideen mit einbringen können und auf dem Teller wieder finden. Mit meinem jetzigen Souschef arbeite ich seit zehn Jahren zusammen, wir wissen beide , worauf es ankommt, ihn bringt so leicht nichts aus der Ruhe.
Wohin geht die Reise ab 2017? Ist die französische Haute Cuisine nach wie vor das Maß aller Dinge?
Wir haben unser Stammpublikum, die mit einer großen Erwartungshaltung in die Schwarzwaldstube kommen. Die dürfen wir nicht enttäuschen. Wenn ich unsere Reservierungen und die Zahlen mit dem Vorjahr vergleiche, sehe ich keinen Grund, eine andere Richtung einzuschlagen. Frankreich war einmal eine Kolonialmacht. In der französischen Küche sind viele Komponenten aus der ganzen Welt zusammen gekommen. Das ist ein gewaltiger Fundus. Aber natürlich achten wir auch auf den Zeitgeist und setzen unsere eigenen Akzente.
Gehen ihnen bei diesem hohen Anspruch und dem Erfolgsdruck nicht irgendwann die Ideen aus? Wo holen Sie Ihre Anregungen, was inspiriert Sie?
Nein, die Ideen gehen mir sicher nicht aus. Wenn man eine kreative Begabung hat, dann kann man die immer wieder abrufen. Das ist wie in der Mathematik. Wenn man das System verstanden hat kostet das keine zusätzliche Energie, womöglich in der Stochastik bis in die Unendlichkeit zu rechnen. Ich arbeite mit den Händen, bin aber im Kopf schon im Morgen, weit voraus in meiner Zeit. Wir machen jetzt Sommerpause, danach erwarten die Gäste eine neue Speisekarte, das beschäftigt mich jetzt, und welche Produkte dieser Jahreszeit werde ich einsetzen, auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit.
In vielen Küchen geht es oft sehr laut und autoritär zu. Wie ist das bei Ihnen?
Bei uns wird leise und konzentriert gearbeitet. Es gibt klare Ansagen, die auch umgesetzt werden müssen. Einen cholerischen Küchenchef kann sich heute kein Restaurant mehr leisten. Dann hat es keine Brigade mehr. Für die Küchenchefs vor meiner Generation war es schwieriger ihre neuen Ideen umzusetzen. Alles war neu, die jungen Köche haben nicht immer verstanden, was ihre Chefs von ihnen verlangten. Deshalb habe ich vor Eckart Witzigmann meinen allergrößten Respekt. Die deutschen Feinschmecker haben ihm viel zu verdanken. Letztendlich verdanke ich auch ihm meinen Arbeitsplatz.
Was zeichnet einen großen Koch aus? Was ist das Wichtigste?
Es sind sicher viele Komponenten: Kreativität, Kompetenz, Leidenschaft. Das wichtigste ist aber Authentizität. Man darf nur Gerichte über den Pass schicken, hinter denen man steht. Die heutigen Gäste sind erfahren und spüren das.
Wie lange dauert es, bis ein Gericht perfekt entwickelt ist, bis es ihrem Anspruch genügt?
Das ist natürlich sehr unterschiedlich. Mit manchen Ideen legt man eine Punktlandung hin, bei anderen Gerichten wird permanent optimiert bis das Ergebnis stimmt. Wichtig ist, dass dieses Streben nach Perfektion ein fortlaufender Prozess ist.
Wer kocht bei Ihnen zu Hause?
Meine Frau und mein Sohn. Beide kochen sehr gut. Aber natürlich wird auch gegrillt, ich liebe Frikadellen, Salat und Gemüse gibt es immer, wir ernähren uns schon gesund.
Man sieht Sie (noch) nicht in Koch- oder Talkshows im Fernsehen. Was halten Sie davon?
Mein Platz ist in der Schwarzwaldstube. Aber wenn ein Koch das Talent hat, etwas medial zu bewegen, warum nicht. Vielleicht bringt er manche Zuschauer zum Kochen. Selbst meine Mutter macht jetzt eine Bratprobe oder versucht sich an Jakobsmuscheln, was sie im Fernsehen gesehen hat.
Hat sich das Essverhalten der Gäste in den letzten Jahren verändert? Richtung Vegetarier?
Wir bieten schon immer Menüs auf vegetarischer Basis an, die auch gut angenommen werden. Vielleicht sollte man in der Ausbildung der Köche mehr Wert auf Gemüse legen. Für viele steht es fast gleichwertig neben Fisch und Fleisch. Man muss als Koch auch mal seine Komfortzone verlassen und sich auf diese Nachfrage in anspruchsvoller Form einstellen.
Wie lange muss man in der „Schwarzwaldstube“ einen Tisch im Voraus reservieren?
Sechs bis acht Wochen wenn es ein Tisch am Wochenende sein soll. Früher musste man Monate im Voraus buchen, aber das Reservierungsverhalten der Gäste hat sich geändert. Heute wird kurzfristig gebucht, und die Gäste bestellen auch mittags das große Degustationsmenü. Schließlich kommen sie aus ganz Deutschland und wollen unsere Küche mit all ihren Facetten erleben.
Herr Michel ich danke ihnen für das Gespräch.
Restaurant Schwarzwaldstube
im Hotel Traube Tonbach
Tonbachstraße 237
72270 Tonbach/Baiersbronn
Telefon 07442 / 49 26 65
Menüs ab 165 Euro