Einmal Namibia sehen, zumindest einen Teil dieses unwirklich vielseitigen Landes an der Atlantikküste im südwestlichen Afrika, war schon lange ein Traum. Ich träumte von meinem persönlichen Namibia-Märchen: Herzklopf-Safaris, kühles Cider in der untergehenden Sonne, der Duft von Braai (so heißt hier Barbecue) und vor allem träumte ich von der Big Five (Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe, Leopard). Wild. Aufregend. Anders. So viele Superlative und meine erste Tierbegegnung war mit einem: HUHN!

Hühnerjagd im Erongogebirge
Dass mein erster Tag in Namibia mit einer Jagd durch das Damaraland beginnt, war schon verrückt genug. Aber jetzt sind wir auch noch zu Fuß unterwegs, nur mit ein paar Stöcken und einem Seil ausgestattet. So werden wir höchstens gegen die Ameisen gewinnen! Wir, das sind zwei mit Lendenschutz bekleidete San-Männer und ich. San, im Volksmund auch Buschmänner genannt, sind die eigentlichen Ureinwohner Namibias. Sie waren vor allen anderen hier und gehören heute zu den weltweit letzten Völkern, die noch das Handwerk des Jagens und Sammelns in der Wildnis beherrschen.

Über Jahrhunderte zogen sie immer weiter, ohne feste Camps und ohne Besitz, der für sie als Ballast galt. Heute leben zwar die meisten von ihnen modern – mit Jeans, Fernsehen und Amtssprache Englisch in der Schule. Aber es gilt noch immer: Kein Volk der Welt kann besser Spuren lesen, den Wind riechen, die Wolken deuten. Im Living Museum of San am nordwestlichen Erongogebirge möchten sie ihre Tradition beibehalten und weiterreichen. Und dazu gehört eben auch das Jagen.

Ich laufe ganz vorne, da meine Füße die kleinsten Abdrücke hinterlassen. Der Jäger mit den größten Füßen geht hinten und tritt genau auf die hinterlassenen Fußstapfen. „So sollen die Gegner den Eindruck bekommen, wir wären nur eine Person und keine Gruppe. Und somit ungefährlicher“, erklärt Johannes, er läuft in der Mitte. Warum kannte ich diesen Trick bloß nicht schon als Teenie, als man spät abends noch ein paar Freunde ins Haus schmuggeln wollte? Ich versuche zwar leise zu treten, damit ich nicht zu den San-Frauen zum Korbflechten und Kräutersortieren zurückgeschickt werde. Trotzdem knickt ständig etwas unter meinen Füßen. Wir hocken uns hin, erste Jagdstunde soll das Bauen einer Perlhuhn-Falle sein.

Zuerst stecken wir ein paar kleine Stöcke kreisförmig in den Sand und legen den Köder in die Mitte. Dann machen wir einen längeren, gebogenen Stock mit einem Seil einen halben Meter davon entfernt fest. Und ziehen schließlich den Knoten im Seil über die kleinen Stöcke und das Futter. „Kommt das Perlhuhn irgendwann“, erklärt Johannes, „wird es beim Picken des Köders hochgezogen.“ Wir testen es mit einem Stein. Meine Falle funktioniert. Johannes schaut mich so stolz an, als wäre ich sein Kind bei der Einschulung. Jetzt kann auch die Big Five kommen!

Unterwegs durch Staub und Schönheit
Fünf Tage habe ich dafür Zeit, ein Tier pro Tag also. Ich zeichne die Route auf der Karte ein. Von der Hauptstadt Windhoek geht es in drei Stunden ins Erongogebirge, dann quer durchs Damaraland im Nordwesten mit seinem Brandberg (2579 Meter), dem höchsten Berg Namibias. Schließlich Naturschutzgebiet Palmwag und am Ende der Reise das Highlight: Etosha-Nationalpark im Norden. Mehr als 1000 Kilometer. Erst jetzt fällt mir auf, was für einen kleinen Teil des Landes meine Reise doch abdeckt. Am besten wären drei Wochen.

In Twyfelfontein halte ich an, um die 2000 bis 6000 alten Sandsteinschlitzereien zu sehen, Weltkulturerbe und die größte Open-Air-Kunstgalerie des südlichen Afrikas. Denn die riesigen Granitfelsen des Damaralandes haben die Jäger für Kommunikation genutzt. Über Jahrhunderte haben sie hier ihre Botschaften hinterlassen und ich, als ihre neu gewonnene Kollegin, meine sogar, einige Zeichnungen entschlüsseln zu können. Bis mir jemand erklärt, dass Kreis mit Punkt keine Dartscheibe bedeutet, sondern eine Wasserquelle. Am Straßenrand treffe ich Himba-Frauen, die sich eine selbstgemachte ockerfarbenen Paste von Kopf bis Fuß auf die Haut und in die Haare schmieren – das soll vor Hitze und Austrocknung schützen.

Auch die Herrero-Frauen verfolgen ihr ganz besonderes Schönheitsideal: mit einem mächtigen länglichen Kopfschmuck, den sie paradoxerweise in viktorianischer Zeit von Missionarsfrauen übernommen haben. Wichtig: Er muss zu der Kleidfarbe passen.

Sonst rolle ich gemütlich durch viel Staub und Stille. Nur ab und zu kommt mir ein Auto entgegen. Abends gibt’s eine herrliche Dusche draußen und wer schaut völlig verständnislos zu? Meistens ein paar Warzenschweine (Disney taufte sie Pumbaa), die sonst immer nur aufgeregt durch die Gegend rennen auf der Suche nach Futter und Schlamm. Und sich nie, wirklich nie, für eine Dusche oder jegliche Art von sauberem Wasser interessieren würden.
Sterne und Cider satt in Palmwag
Am dritten Tag meiner Reise erreiche ich Palmwag, ein Naturschutzgebiet im Norden Namibias – mit einer Fläche von 400000 Hektar. Hier muss ich mein Auto stehen lassen und werde von Guide Bonnie mit einem Pirschwagen abgeholt – und zum Etendeka Mountain Camp gefahren.

Knapp zwei Stunden dauert die Fahrt auf der Schotterpiste. Wie auf Knopfdruck zeigen sich aber schon nach ein paar Minuten Fahrt die ersten Tiere: Giraffen, Zebras, Oryx-Antilopen. Endlich mal etwas Größeres! Und das Beste: Hier darf ich in Begleitung des Rangers sogar vorsichtig aussteigen und mir die Tiere näher anschauen. Ich fühle mich mittendrin, statt nur im „Zoo“.

In dem Camp angekommen, ist das Afrika-Gefühl perfekt. Wir sind mitten im Nichts, das Cider leuchtet in der Abendsonne und die Zelte sehen zwar aus wie Zelte, haben aber ein richtiges Bett mit frischgebügelter weißer Bettwäsche und eine herrliche Außendusche. Nur der Duft des Braai lockt mich zurück in das Haupthaus. Meistens wird Wildfleisch gegrillt, z.B. Springbock, Kudu oder Oryx. Vorher oft stundenlang mariniert, schmeckt es wahnsinnig zart. Nur fotogen ist das Essen in Namibia selten.

Noch bevor sich der rote Sandstaub vom Tag legt, geht der Vollmond blutrot gefärbt am Horizont auf. Dann gehen tausende von Sternen an – wie kleine Glühbirnen. So viele Sterne habe ich selten gesehen. Bonnie zeigt mir das Kreuz des Südens, der mich irgendwie an meine Hühnerfalle erinnert (nur besser koordiniert). Ich erzähle Bonnie davon, er lacht.

Nachts werde ich von einem eindringlichen dumpfen Geräusch wach. Vögel? Nein. Stromgeneratoren? Klingen anders. Am nächsten Morgen zeigt mir Bonnie Löwenabdrücke vor dem Camp. „Das soll die wichtigste Lektion sein“, sagt er. „Die Rollen zwischen Jäger und Gejagtem können ziemlich schnell vertauscht werden.“
Africat Foundation
Ein ganz besonerer Ort in Namibia ist AfriCat-Stiftung in Otjiwarongo. Die im Jahr 1992 von Donna Hanssen gegründete Organisation setzt sich für den Erhalt afrikanischer Großkatzen ein, insbesondere von Geparden und Leoparden.

Donna nimmt viele verwaiste Tiere und päppelt sie auf. Das Areal ist riesig, trotzdem sind die Chancen hier besonders hoch, einer Großkatze in die Augen zu schauen.

Ein WOW nach dem anderen im Etosha Nationalpark
Meine letzten zwei Tage in Namibia verbringe ich im Etosha-Nationalpark im Norden des Landes. Mit 22935 Quadratkilometer ist er das größte Naturschutzgebiet Namibias und für viele das Highlight ihrer Reise. Dank der (weitläufigen) Einzäunung und einer hohen Tierdichte wird hier jede Safari zum Wow-Erlebnis.

Namibia war das erste afrikanische Land, das Tierschutz in seine Verfassung aufnahm. Man sieht’s: Alle fünf Minuten zeigt sich ein Tier. Dass ich mir überhaupt Sorgen darum gemacht habe, wenigstens einen Vertreter der Big Five zu Gesicht zu bekommen, erscheint mir hier absurd!

Im Gegensatz zu Palmwag darf man in Etosha unter keinen Umständen den Wagen verlassen, denn die Tiere sind wirklich nah. Menschen in Autos, auch in offenen Pirschwagen, sind für sie unsichtbar. Steigt man aber aus, ist man Futter auf zwei Beinen. Um die meisten Tiere auf einem Fleck zu sehen, muss man lediglich die Wasserlöcher des Parks abfahren. Zu der Trockenzeit versammeln sich alle an ihrer Lieblings-Bar.

Wie auf den Paradiesbildern der Zeugen Jehovas stehen sie am Rand, von Sonnenstrahlen durchflutet, und trinken gemächlich. Am besten in einer Lodge direkt am Eingangstor des Parks bleiben, z.B. Andersson’s at Ongava. Sie sind zwar eingezäunt, aber abends beim Sundowner sieht man auch noch mal jede Menge Tiere! Oft sogar aus dem Pool heraus. Ich habe hier z.B. meinen ersten und einzigen Nashorn in Namibia gesehen!

An meinem letzten Tag sehe ich ungefähr zehn Löwen! Die meisten liegen unter einem Baum direkt am Straßenrand. Ich kann buchstäblich ihren Atem spüren und die Wimpern abzählen. Aber jagen? Gähn, vielleicht später. Ich habe mir Kampfszenen à la König der Löwen vorgestellt, stattdessen faulenzen sie wie Stubenkätzchen auf Omas Ofen.

“Das am meisten gefürchtete Tier hier im Etosha-Park ist der Webervogel“, scherzt unser Guide. Die Männchen bauen aufwendig die Nester, die Weibchen schauen ab und zu vorbei und wenn es ihnen nicht gefällt, zerstören sie das ganze Nest. Gerne auch ein paar mal hintereinander. “Auf solche Gemeinheiten würde kein Löwe kommen, wirklich nicht!“
