Die Rettung der deutschen Esskultur
Marco Müller hat Geschichte geschrieben. Und mit der erfolgreichen Umsetzung seiner eigenen Philosphie und seinem Anspruch „Die Rettung der deutschen Esskultur“ als Trendgeber vielleicht sogar eine neue kulinarische Richtung begründet.
Jedenfalls war es die kulinarische Sensation des Jahres: Im März zeichnete der „Guide Michelin“ Marco Müller von der Weinbar Rutz mit drei Sternen aus. Zum ersten Mal in der Geschichte hat damit auch Berlin einen Platz in der First Class Lounge der Sterneköche.
Gerüchte um eine mögliche drei Sterne Platzierung für Berlin gab es immer wieder mal, aber seit 2016 kochte die Gerüchteküche im Vorfeld der Bewertungs-Bekanntmachung förmlich über. Dieser oder jener Küchenchef, hieß es, schafft es diesmal ganz bestimmt. Zu den heiß gehandelten Favoriten gehörten auch Küchenchefs, die zu viel Zeit in TV Kochstudios verbringen, als es als Sternekoch eigentlich vertretbar ist.
Mit Marco Müller strahlt jetzt endlich auch über der deutschen Hauptstadt das begehrte Sterne-Triple (diese Bewertung haben aktuell in ganz Deutschland zehn Restaurants). Und damit ein Küchenchef, der sich ganz auf die Umsetzung seiner eigenen Koch-Philosophie konzentriert, statt auf öffentlichkeitswirksame PR Coups. Seine detailversessene Arbeit zahlt sich aus: Die Weinbar Rutz ist bereits für die kommenden Monate komplett ausgebucht.
Rutz Zollhaus
Die gute Nachricht: vor zwei Wochen eröffnete in Kreuzberg mit dem Rutz Zollhaus, eine Dependance, die auf verfeinerte regionale Klassiker (zB. Königsberger Klops, Kartoffelpüree, Forellenkaviar, Schnittlauchöl) setzt, statt auf Gourmetinterpretationen. Das urige Fachwerkhaus mit eigenem Anlegesteg liegt herrlich eingebettet zwischen Bäumen direkt an der Spree.
Müller übernahm das architektonische Schmuckstück, in dem man sich sofort wie auf einem entspannten Landausflug fühlt, von Gastro-Kollege und Winzer-Freund Herbert Beltle (Horcher, Rotisserie Weingrün). Auf zwei Ebenen (im ersten Stock tafelt man unglaublich gemütlich unter Holzgiebeln) bietet das Rutz Zollhaus insgesamt Platz für über 120 Gäste (aktuell durch die Abstandsregeln nur 34 Plätze).
Was ist das Erfolgsgeheimnis von Berlins bestem Koch? Sein Motto „Rettung der deutschen Esskultur“ ist Programm und er setzt es mit einer totalen Hinwendung zu regionalen Produkten aus dem Umland um.
Über Jahre hat sich der gebürtige Potsdamer ein Netzwerk von Brandenburger Bauern aufgebaut, die Produkte nach seinen Qualitätsmaßstäben anbauen. In enger Abstimmung mit ihm, gelang es so, Pläne zu entwickeln, die seiner Küche die beständige Versorgung mit regionalem Gemüse garantiert. Sogar Artischocken bezieht Müller von Brandenburger Landwirten und in der kalten Jahreszeit lässt er Kartoffeln, Kohlrabi oder Schwarzwurzel einfach zum Überwintern umsetzen.
Der Picasso der Gastronomie und die heimischen Kräuter
Ganz besonders begeistert sich Müller aber für heimische Kräuter, Knospen, Blüten und Baumblätter, die er unbehandelt oder in Form von Extrakten für seine Gerichte verwendet.
Wie ein geheimnisvoller Kräuterguru aus den Anden, versteht er es, das Beste aus dem zu extrahieren, was die Natur bietet. Beim Kräuterthema gleicht seine Arbeit daher eher einem Laboristen als einem Koch. Müller zur B.Z.: „Bei bestimmten Kräutern friere ich zum Beispiel zunächst den Sud ein, dann übergieße ich ihn mit einem Fond, um seine Struktur aufzubrechen. So erreiche ich zum Beispiel bei der Wildrose ein potenziertes Geschmackserlebnis.“ Müller sieht sich dabei als Künstler, der seine tiefen Fachkenntnisse für kreatives Arbeiten nutzt. Müller: „“Wie Picasso Komplimentärfarben verwand, stelle ich Aromenbilder aus Komplimentär-Aromen zusammen.“
Am liebsten macht sich Müller selbst auf die Suche nach schmackhaften Kräutern und seit er vor einem Jahr von Tempelhof nach Westend gezogen ist, gelingt ihm das auch täglich. Müller: „Ich jogge jeden Morgen mindestens 10 Kilometer durch ein Naturschutzgebiet und sammle dabei immer ein, was gerade in voller Blüte steht.“ Im Moment sind das zum Beispiel Spitzahornblüten (Müller: „Wenn man sie einlegt bekommt ihre florale Note einen charmanteren Körper“), Berliner Waldlauch, Knoblauchranke (Blüten kann man trocknen) oder Brombeerblätter. Als mir Müller beim gemeinsamen Waldlauf ein paar Blüten vom Ackersenf zum Probieren gibt, staune ich: eine aromatische Schärfe, die ich nicht in unseren Wäldern vermutet hätte.
Ich bin begeistert! Müller empfiehlt mir für eigene Sammeltouren eine Foto-App („Flora Incognita“), denn es sprießen natürlich auch wenig bekömmlichere, oder sogar giftige Kräuter.
Fisch vom Rottstocker Forellenhof
Auch beim Fisch setzt Müller konsequent auf regionale Produkte. Die bezieht er vom Rottstocker Forellenhof in Brandenburg. Drei Mal wöchentlich werden sie von hier an seine beiden Berliner Küchen geliefert. Müller: „So ist gewährleistet, daß ich die Forellen auch immer in der benötigten Größe bekomme.“
Das Wasser in dem sich die Fische in Rottstock tummeln, stammt aus einer legendären besonders mineralhaltigen Heilquelle, dessen Wasser im 17. Jahrhundert als Wundermedizin verkauft wurde und sogar Lahme heilte.
Die unglaubliche Energie und echte Freude die Müller bei der Arbeit hat, ist ansteckend. Und natürlich ist er auch nach der Pause durch die Corona-Maßnahmen, die ihn zwangen nur zwei Wochen nach der Michelin Bekanntgabe im März das Rutz zu schließen, fast schon übermotiviert. Aber es ist dabei umso mehr spürbar: Marco Müller und das Rutz Team haben Geschichte geschrieben!
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