Barcelona gehört zu den beliebtesten Zielen bei den Städtereisen in Europa. Die Stadt hat 1,61 Millionen Einwohner und musste 2019 vor der Pandemie 14 Millionen Touristen und 33 Millionen Übernachtungen verkraften. Das ist seit Pandemie-Beginn anders: Statt 60 000 Besucher pro Tag übernachten nur noch 13 000, 40 Prozent der Hotels sind geschlossen.
Bei meinem letzten Besuch im November 2021 schlenderte ich oft alleine durch das Barri Gòtic, das Gotische Viertel mit seinen engen, verwinkelten Gassen und der Kathedrale La Seu. Selbst auf der 1,2 Kilometer langen Flaniermeile, La Ramblas herrscht kein nerviger Ramblas-Rummel wie in der Hochsaison. Aber auch in den Wintermonaten ist die katalanische Metropole eine faszinierende Mischung aus Kultur, einem 4,2 Kilometer langen Sandstrand, einer besonderen Restaurant- und Barszene, bestem Essen mit spanischen Weinen und einer außergewöhnlichen Architektur.
Den Spanischen Jugendstil, also den Katalanischen Modernismus mit den imposanten Bauwerken von Antoni Gaudi (1852-1926) findet man nirgendwo konzentrierter als in dieser Stadt. Wie die Basilika Sagrada Família, den Palau de la Musica Catalana, den Stadtpalast Palau Güell und seinen 20 mit Keramiken verzierten Schornsteinen auf dem Dach, oder das Hospital Sant Pau, ein Meisterwerk des Architekten Llouis Domènech i Montaner.
Doch ich bin nur Hobby-Kunsthistoriker und schreibe nicht für das ART-Magazin, meine Leidenschaft sind Essen und Trinken, der Genuss mit all seinen Facetten ist mein Lebensmotto, (fast) immer den Empfehlungen meines Internisten folgend. Also wo könnte ich meinen kalorienreichen Neigungen mehr nachgehen als in Barcelona…
Ich sitze auf der Terrasse des Restaurants „El Cangrejo Loco“ im Olympischen Hafen mit Blick auf den Strand. Am Horizont nimmt ein Kreuzfahrtschiff Kurs auf den Hafen – Barcelona hat den größten Hafen Europas für Kreuzfahrtschiffe, sieben Mega-Liner können hier gleichzeitig anlegen. Doch wichtiger als diese Umweltsünder ist mir in diesem Moment mein Lunch: Oktopus-Carpaccio mit Gemüse, Fisch- und Meeresfrüchte-Ravioli in Garnelen-Sauce, Entrecote mit Pfeffersauce und zum Dessert die obligatorische Crema Catalana stehen mit 25,50 Euro auf der Rechnung! Die Flasche Rosado „Cresta Rosa“ kostet 14 Euro – mein Internist hätte Verständnis für mich.
Doch meine bestellte Taxe wartet und es geht vorbei am Mapfre-Tower und am Arts-Hotel. Immer wieder begeistert mich die Skulptur „Pez Dorado“, der goldene Fisch des kanadischen Architekten Frank Gehry vor dem Arts Hotel, 56 Meter breit und 35 Meter hoch, 1992 zur Olympiade gebaut. Mein nächster reservierter Tisch wartet im Restaurant „Barceloneta“, so hieß auch das ehemalige Fischerviertel.
Von meinem Platz auf der Terrasse habe ich den besten Blick auf die Superyachten, die hier überwintern. Sie sind auch super teuer, elegant, unglaublich luxuriös, traumhaft, einfach zum Staunen schön. Ich bewundere die „Al Raya“, sie gehört zu den größten Megayachten der Welt. Sie wurde 2008 auf der deutschen Lürssen-Werft für den russischen Oligarchen Usmanow gebaut und 2018 an einen unbekannten Eigner im arabischen Raum verkauft (110 m, 21kn, 39 km/h).
„Ihre Tortilla mit frischen Gambas“ annonciert der flinke Ober und ich werde abrupt aus meinen mediterranen Träumen zurück in die Realität geholt. An den Nachbartischen delektieren sich offensichtlich gut betuchte Geschäftsleute und grau melierte Herren in saloppen TOD’S-Slippern (Yacht-Eigner?) an Hummer, Seeteufel und Steinbutt, es riecht nach frischem Fisch und altem Geld.
Hochkarätige ältere Damen präsentieren sich mit exklusivem Schmuck und teuren Handtaschen – Luxuslabels sind die Regel, nicht die Ausnahme: Chanel, Dior, Loewe und natürlich die Birkin-Bag von Hermès gehören hier zur Grundausstattung. Für mich stehen saloppe 26,50 Euro auf der Rechnung – damit bin ich auch als Nicht-Yacht-Eigner glücklich.
Der nächste Tag beginnt für mich in der „Boqueria“, der bekannten Markthalle direkt an den Ramblas gelegen. Es gibt in Barcelona mehr als 50 Markthallen, doch für mich ist sie die schönste, das Schlaraffenland für jeden Feinschmecker. Doch bevor man sich mit den Touristen durch die Gänge schieben lässt, sollte man versuchen, einen Platz an der Bar Pinotxo zu bekommen – was nicht ganz einfach ist. Die Bar ist nicht zu übersehen, gleich rechts am Eingang der Boqueria.
Legendär sind die süßen Chuchos zum Frühstück. Aber auch kleine Fischgerichte, Fleisch und Tortilla mit einem Glas Wein zu Mittag genügen durchaus höherem Anspruch. Doch ich bin auf Tapas-Tour und muss meine Kapazitäten einteilen. Bei meinem letzten Besuch habe ich das 2-Sterne-Restaurant „Moments“ im Hotel Mandarin-Oriental vorgestellt. Hier stehen Carme Ruscalleda und ihr Sohn Raūl Balam am Herd. Avantgarde und Kreativität ist ihr Credo (gourmino-express.com/Mandarin).
Es gibt 20 Michelin-Sterne-Restaurants und 200 Tapas Bars in Barcelona. Tapas kommen ursprünglich aus Andalusien, sind aber fester Bestandteil der gesamten spanischen Küche. Man unterscheidet drei Arten der kleinen Appetit-Happen: Pintxos, Tapas und Raciones. Pintxos sind die kleinsten Häppchen, sie werden auf einen Zahnstocher aufgespießt und im Stehen gegessen. Die Zahnstocher legt man am Tresen auf einen Teller, es wird abgezählt und nach der Anzahl die Rechnung gemacht. Tapas sind etwas größere Portionen und werden auf einem kleinen Teller oder in heißen Pfännchen serviert. Raciones sind eine Variation von Tapas und ersetzen auch mal ein Abendessen, während Pintxos und Tapas eher zwischendurch, oder ein Auftakt zu einem Abendessen sein können.
Ich freue mich auf das „Cañete“, eine Tapas Bar, die mir mehrfach empfohlen wurde. Ich versuche mein Glück ohne Reservierung, da die Bar nur wenige Schritte von den „Ramblas“ entfernt liegt. Ich bekomme zuerst einen etwas beengten Platz an der Bar, man weist mir aber nach nur wenigen Minuten einen komfortablen Eckplatz zu. Es ist laut und lustig, das Publikum entspannt, jede Generation ist vertreten, die Crew hinter dem Tresen ist flink, kompetent und hat einen einen fast komödiantischen Unterhaltungswert.
Auf der umfangreichen Speisekarte das gesamte Angebot von scharfen Fleisch-und Fischkroketten, bester Bellota-Schinken, Chorizo-Wurst, Russischer Salat, Jakobsmuscheln in Bellota-Schinken, gegrillter Tintenfisch, gratinierte Poularde mit Entenleber-Bechamel-Sauce – superb!
Aber auch meine nächste Adresse ist, salopp gesagt, ein echter Knaller: „Cal Pep“ im Viertel El Born. Auch hier wieder Tapas in allen Portionsgrößen – deftig, aber köstlich: Gänseleber-Chorizo mit Bohnen und Portweinreduktion, Muscheln mit Schweinespeck, Kabeljau mit Bratkartoffeln, die saftige Tortilla mit Zwiebeln ist alleine einen Besuch wert. Was aus der kleinen, heißen Küche kommt, sind feine Rustikalitäten, bodenständig, deftig-aromatisch – konzentrierter Geschmack.
Joseph hinter der Bar hat sein Publikum voll im Griff, unisono Gastgeber, Dirigent und Unterhalter. Doch mein Weg durch die Nacht geht weiter: Nur wenige Meter von „Cal Pep“ entfernt eine lange Schlange von jungem bis sehr jungem Publikum: Alle hoffen auf das Paradies, das ihnen aber eine strenge Einlasskontrolle verwehrt: Das „Paradiso“, in der Calle Rera Palau 4, von Giacomo Giannotti. Es steht in der Perrier Liste der 50 besten Bars der Welt auf Platz 3.
Mein Presseausweis fungiert auch hier als „portero automático“, die plötzlich sehr freundliche Türsteherin bringt mich zur gut besetzten Bar. Hier sollte man das Pastrami-Sandwich probieren, eigentlich ein New Yorker Klassiker, hier perfekt kopiert: ein Sandwich mit gepökeltem, geräuchertem und gekochtem Rindfleisch aus der Schulter mit Senf und Gurke. Ich nehme noch einen großzügig eingeschenkten Brandy in einem Café an der Plaça Catalunya. Die Cafés sind trotz Pandemie und später Stunde noch gut besucht – als Devise gilt Lebensfreude contra Covid – hier ist die Flasche halb voll – in Deutschland halb leer…
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