Ein Fahrzeug mit zwei Bremspedalen, aber keinem fürs Gas? Was sich nach einer Quizshow-Frage anhört, ergibt hier im finnischen Vuokatti sofort Sinn. Es ist ein Huskyschlitten!
Ich schaue mir das Gefährt genauer an: Vorne ist Platz für den Beifahrer, der mit gemütlich angewinkelten Beinen in dem mit Fell ausgelegten Schlitten versinkt. Hinter ihm steht der Fahrer, also ich, auf einer Art Metallgerüst. Unter meinen Füßen: ein schwarzer Mini-Teppich, der auf dem Schnee schleift (kleine Bremse) und ein größeres Pedal direkt am Schlitten (Vollbremsung). Und das Gaspedal ist das Gespann von sechs Huskys. Schaltung? Automatik.
„Pass am Anfang auf und lass den Fuß die ganze Zeit auf der kleinen Bremse. Die Hunde werden zuerst einen Raketenstart hinlegen, gehen aber nach ein paar Minuten in ein gemütliches Tempo über“, erklärt mir der Musher. „Sie haben ordentlich PS, können 250 Kilometer in 24 Stunden zurücklegen.“ Noch benehmen sich die Hunde wie ein Haufen Machos. Sie bellen in die Nacht, posieren im Schnee, knurren sich an. Freuen sich aber auch über den Damenbesuch und stecken mir sofort die Zunge in die Nase. Aber sobald alle Leinen los sind und der Anker aus dem Schnee gehoben, preschen wir nach einem kurzen Ruck los und von den Hunden hört man nichts mehr außer einem leisen Hecheln.
Der warme Atem der Tiere verschwindet als kleine Nebelschwaden in der Dunkelheit, während eingeschneite Kiefern und Fichten an mir, wie dunkle Schatten, vorbeiziehen. Ich gleite mit meinem Gespann von Polarhunden durch das weiße Reich und fühle mich wie die Eiskönigin. Mit meinem dicken Ganzkörperanzug und der Stirnlampe muss ich allerdings eher wie ein Minenarbeiter aussehen. Hier, mitten im finnischen Nichts, gilt aber mein eigenes Märchen. Denn, wenn der Winter nicht zu uns kommt, gehe ich eben zum Winter. Und in Finnland findet man ihn immer irgendwo.
Der Ort Vuokatti (3000 Einwohner, 590 Kilometer von der Hauptstadt Helsinki entfernt) in der Region Kainuu ist dafür ideal. Denn er liegt im Norden des finnischen Seenlands am Übergang zu Lappland und vereint so die Vorteile von beidem. Trotzdem ist das alles hier immer noch ein Geheimtipp, die meisten fahren im Winter nach Lappland und im Sommer ins Seenland und übersehen die Schnittstelle. Und so muss man diese Landschaft, in der Wölfe, Bären und wilde Rentiere leben, aber nur ganz wenigen Menschen, nie mit vielen Touristen teilen.
Als ich am frühen Morgen mit einem Schneemobil durch die verschneiten Wälder und über die zugefrorenen Seen Vuokattis fahre, muss ich nie nach der Vorfahrt schauen. Unsere Schneemobile sind über Stunden hingweg die einzigen.
Auch an den Liften am Skihang (150 km Abfahrten) gibt’s keine Schlangen. Die Langlaufloipen sind auch am Nachmittag so frisch wie am frühen Morgen, wenn die Streber da sind. Für Kakao muss man bei der Berghütten nicht anstehen. Wenn man sein Wintermärchen nicht mit vielen anderen Touristen teilen möchte, ist man in Vuokatti genau richtig.
Und eigentlich müssten doch hier auch die Fische besser anbeißen – so meine optimistische Vermutung!
Barsche, Hechte, Forellen leben in dem See Särkinen, insgesamt 20 Spezies. „Meistens fängt man allerdings Barsche“, sagt mir Guide Matti, als ich am nächsten Morgen hier ankomme. Eisfischen ist in Finnland für alle frei, man braucht im Gegensatz zum Sommer keine Lizenz. Ich laufe mit einem riesigen Bohrer – so groß wie ich – und einer kleinen Angel – so groß wie meine Hand – auf den See. „Ist das ein guter Platz zum Bohren?“, frage ich Matti. „Keine Ahnung, die Fische versammeln sich nicht an einer Stelle, ist ja keine Safari. Man muss es hier und da versuchen. Bis der See aussieht wie ein Schweizer Käse“, lacht er.
Ich bohre ein Loch in die fast ein Meter dicke Eisschicht, mache Köder an die Angel und warte zappelnd auf einem Klappstuhl. „Das Anglerglück besteht zum größten Teil aus Geduld“, sagt Matti. Und weil Geduld nicht meine Stärke ist, fange ich irgendwann ein Fischchen so groß wie mein Zeigefinger, das ich aber wieder in das Unter-Eis-Aquarium zurückschicken muss.
Im Eiswasser lande ich an diesem Tag auch noch. Außentemperatur? Knapp unter Null. “Das ist die einzige Aktivität, die wir hier anbieten, die wirklich gar keinen Sinn macht”, sagt Matti. Denn die Trockenanzüge, die wir tragen, sind eigentlich für Rettungen im kalten Wasser ausgerichtet. “Nach vier Minuten kann man sich normalerweise nicht mehr bewegen”, erklärt Matti. “Nach zehn Minuten verliert man das Bewusstsein, nach 20 Minuten ist man tot. Diese Dinger schenken dir etwa drei Stunden Lebenszeit.” Beim Floaten fühle ich mich wie eine lebendige, etwas zu gut ernährte Robbe. Und merke, dass es gar nicht so einfach ist, in einem Trockenanzug mit Schwimmweste elegant auf eine Eisscholle zu gleiten.
Nach dem Schwimmen gibt es – ganz klar – Eis!
Und da man von Mini-Fischen und Eis allein nicht leben kann, habe ich mir ein Restaurant mit einer kräftebringenden Portion Fleisch gesucht. Traditionelles Rentiersteak in bester Qualität bekommt man im Restaurant Kippo in Vuokatti.
Später am Abend stehen noch Sauna auf dem Programm, das kann man in Finnland einfach nicht auslassen, und eine Schneeschuhnachtwanderung zu einer Kota, einer Grillhütte im Wald. Vorbei an vom Eis erstarrten Wasserfällen und einer verlassenen Bärenhöhle.
In der Kota angekommen, dampft schon Tee über dem offenen Feuer. Meinen Pullover, der so nach Kaminfeuer und Beerentee riecht und an dem noch ein paar Huskyhaare hängen, wasche ich erst einmal nicht. Wenn der Winter schon nicht kommt, möchte ich wenigstens seinen finnischen Duft konservieren.
Wo übernachten?
95 Euro kostet die Nacht im Haapala Brewery B&B (www.haapalabnb.fi). Das Hotel besteht aus typischen Holzhäuschen, einem Restaurant mit lokalen Produkten und einer eigenen Brauerei mit witzigen Sorten wie Sauerbier mit Vogelbeeren oder Pale Ale mit Kiefer.
Die Holzhütten von Haapala Brewery B&B liegen idyllisch mitten im Nichts.
Weitere Infos:
Flüge: Ab Tegel bietet Finnair tägliche Verbindungen nach Kajaani und zurück (mit Zwischenstopp in Helsinki), ab 214 Euro. Von dort aus ist Vuokatti in knapp 40 Autominuten zu erreichen.
Alle beschriebenen Ausflüge sind bei Vuokatti Safaris buchbar. Husky-Safaris kosten 89 Euro, Schneemobil-Touren 129 Euro, Eisangeln 79 Euro, Nordlicht-Jagd auf Schneeschuhen 99 Euro. Wintersaison ist bis Ende März.
Alle Infos: www.vuokatti.fi/de, www.visitfinland.com/de
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