Riga
Ein Quadratkilometer voller Überraschungen. Schummrige Gassen aus Kopfsteinpflaster und düster-mittelalterliche Hinterhöfe wechseln nahtlos über in farbenfrohe Jugendstilhäuser, spirituelle Kirchenbauten und bunte Altstadt-Biergärten. Dicht reiht sich ein Highlight an das nächste und selten war ein Stadtspaziergang so unterhaltsam und so überraschend. Wer zum ersten Mal wie ich die lettische Hauptstadt besucht, schlendert am besten ziellos durch die Straßen des überschaubaren Altstadtviertels und folgt einfach dem Spiel der Musikanten. Immer in die Richtung, woher gerade die Klänge kommen, die gerade am besten zu der eigenen Stimmung passen. Ich habe eigentlich erwartet, dass ich in Riga zunächst einem der ersten Grillstände mit Schaschlik verfalle, eines der lettischen Grundnahrungsmittel. Doch auf den Straßen der Altstadt ist davon zumindest Anfang April nichts zu sehen.
Musik dagegen ist in dem von der UNESCO ausgezeichneten Viertel so allgegenwärtig, wie in Venedig die Gondeln.
Ob auf den Terrassen der Cafés, Restaurants oder Bierhäuser – wenn nicht gerade die eigene Hausband aufspielt, ist auf jeden Fall ein Straßenmusiker in Hörweite. Von melancholisch bis euphorisch findet sich hier fast jede Façon – und die Musiker haben sich meist den Stammplatz gesichert, der auch vom Flair her zu ihrem Sound passt. Alles in Riga überrascht den Besucher, der zum ersten mal kommt. Mich als erstes die vielen Straßenmusiker, die hier oft einen professionellen Hintergrund haben und die man so in deutschen Städten nicht erlebt. Es überrascht auch die Wirkung und Dichte der Jugendstilhäuser, die beim Betrachten schon gute Laune verbreiten, weil die Wohnhäuser im Altstadtensemble kleiner gebaut wurden als die eher zum Repräsentieren errichteten Bauten dieses Stils in anderen Städten, wie zum Beispiel in München.
Für Freunde des Jugendstils ist die Stadt eine echte Freude und ein Paradies.
Neben den riesigen Kirchenbauten mit ihren hohen Türmen wie z.B. der Petrikirche (tolle Aussicht vom Kirchturm) oder dem Dom wirken die feinen Schmuckhäuschen fast miniaturhaft und zerbrechlich. So zerbrechlich, wie Riga oft in den vergangenen Jahrhunderten den verschiedensten Großmächten gegenüberstand, die ein Auge auf die lange auch wirtschaftlich blühende Handelsmetropole geworfen hatten. Auch heute noch ist der Hauch großer europäischer Geschichte zu spüren, die sich in Riga und um Riga abspielte. Und die besondere Kreativität einer Stadt, in der sich unterschiedlichsten Kulturen gegenüberstanden, zusammenlebten und vermischten. Wenn man weiß, dass Michael Eisenstein ganze Jugenstil-Straßenzüge in Riga gebaut hat, versteht man auch besser, woher sein Sohn Sergej die Inspiration für seine unglaublich intensiven Filmkulissen und -Stimmungen (u.a. „Oktober“) fand. Es überrascht auch, das für eine 700.000 Einwohner Stadt sehr pralle Nachtleben, das 7 Tage in der Woche bis in die Morgenstunden wirklich alles bietet.
Überraschend, der sensationelle Meerstrand und die Villenkolonie von Jurmala, die man in nur 2o Minuten erreicht.
Es überrascht das fantastische Angebot an Gastronomie von rustikal bis Highclass, von stylischen Restaurants mit internationaler Küche und Traum-Ausblick aufs Meer, über urige Grillkeller in der Altstadt, bis zu den vielen tollen Backstuben mit frischer Ware. Das sympathische: Echten Touristenfallen mit miesem Essen und billigem Folklore-Theater bin ich nicht begegnet.
Wer das historische gerne mit dem kulinarischen (auf hohem Niveau) verbindet, wird in Riga auf jeden Fall glücklich.
Unbedingt sollte man dann die 5 Zeppelin Markthallen besuchen: Wo früher Luftschiffe gebaut wurden, gibt es heute nämlich von frischem Fisch bis Fleischspezialitäten alles was das Herz begehrt (bis 16 Uhr).
Es überrascht, dass man Erholung durchaus auch auf einer Städtereise finden kann: ganz Riga scheint sich im Sommer aufs Relaxen einzustellen – angefangen von den Parkanlagen, bei denen man sich in Tee- und Kaffehäusern auf Kissen legen kann, für eine Auszeit. So viel entspannter als die Starbucks Variante bei uns.
Es überrascht auch das riesige Kulturangebot mit Museen, Opernhaus (Richard Wagner war hier einst Direktor und das Ballett war schon zu Sowjet-Zeiten legendär) und regionalen und internationalen Ausstellungen (bis Mitte Juni u.a. Goya im Kunstmuseum).
Am meisten überrascht aber, dass dieses perfekte Reise- und Urlaubsziel (EU-Mitglied seit 2004!!!) im Sommer bei den meisten Touristen aus Deutschland nicht auf dem Radar ist – trotz der preislich sehr attraktiven und bequemen Anbindung mit airBaltic.