München
Als Beitrag zur Schärfung des Profils der deutschen Küche luden Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann (Gault & Millau 1994) und BMW-Finanzvorstand Dr. Friedrich Eichiner in die Business Lounge der BMW Welt zum Symposium mit hochkarätigen Gourmet-Experten, im Vorfeld der Verleihung des 11. Internationalen Eckart Witzigmann Preis im Oktober. Das Motto „Die deutsche Gastronomie am Scheideweg? Neue Dimensionen der Deutschen Küche – eine Standortbestimmung“ bot reichlich Diskussionsbedarf.
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Der selbstbewusste 3 Sternekoch Kevin Fehling (La belle Epoque, Travemünde) fragte gleich zu Beginn in die Runde: „Warum kennt jeder in Deutschland die Top-Liga der spanischen Sterneköche? Die eigenen deutschen Köche sind dagegen international beinahe unbekannt!“ Trotz Witzigmann und der Nouvelle Cuisine seien wir hierzulande gerade erst dabei eine „Esskultur“ zu schaffen, ein Prozess, für den Fehling noch ein komplettes Jahrhundert taxiert. „In Deutschland sind wir noch zu jung und zu frisch, ich selbst möchte die Küche lockerer, offener und kommunikativer machen!“ Sein Beitrag: ab August eröffnet er in der coolen Hamburger Hafen City das Restaurant The Table, in dem an einem einzigen schlangenförmigen Tisch vor maximal 20 Gästen auf 3 Sterne-Niveau gekocht wird. Fehling und sein Team interagieren also direkt mit und vor dem Gast – ein wirklich frisches wie zukunftsweisendes Konzept, das man erlebt haben sollte – auch ohne Silber und weiße Tischdecken. Witzigmann, Liebhaber der katalanischen wie baskischen Küche (Elena Arzak aus San Sebastian ist bereits Preisträgerin des ECKART) berichtete von seiner letzten Reise nach Barcelona. Gemeinsam mit Otto Geisel, Jurymitglied und Initiator des Preises, besuchte er TICKETS! von Albert Adrià (Bruder von Ferran, El Bulli), der gerade dabei ist, Barcelona in die kulinarische Hauptstadt Europas zu verwandeln. An der Avinguda del Paral.lel, einem vormals verkommenen Boulevard, der den verruchten Barrio Raval vom Poble Sec trennt, hat Albert Adrià gleich mehrere Gourmet-Ankerpunkte geschaffen: 41° im Pakta, Hoja Santa, Bodega 1900 und nun TICKETS! Hier findet man in einzigartiger Atmosphäre ein update traditioneller katalanischer Tapas in experimenteller kulinarischer Technik. Das Dekor ist seiner Liebe zum Kino entlehnt. Witzigmann: „Hier haben wir ein rundum gelungenes Konzept vorgefunden. Eine klare Linie wurde professionell umgesetzt. Sich seinem Charakter treu zu sein, hat sicherlich auch Vorbildfunktion für Deutschland.“ Die Preise sind für ein Sternerestaurant moderat, auch wenn die Herangehensweise in Spanien oftmals eine andere ist, als bei uns. Otto Geisel: „Der Begriff Wirtschaftlichkeit ist natürlich ein sehr deutscher Blick auf das Thema Genuss!“
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Buch- und Drehbuchautor Dominik Flammer (Zürich) gab beim Symposium einen eindrucksvollen wie leidenschaftlichen Überblick über die Variationen der Alpenküche. Hier unterstrich er, dass eine „Länderküche“ immer auch von einer Region innerhalb eines Landes stark geprägt wird, wie z.B. die Küchen Spaniens oder des Libanon zeigen. Für ihn ist der Alpenraum ganz klar eine Region, die eine Vielfalt wiederspiegelt, die vielen Menschen oftmals gar nicht mehr bewusst ist: „Von den 10 bis 15 weltweiten Rinderrassen stammen sechs aus dem Alpenraum. Heute braucht ein Koch die Regionalität, um sich überhaupt profilieren zu können. Kulturelle Identität in der Küche ist nur noch durch die Person und die Gesichter möglich.“ Mit diesem Wissen könnte man das Profil der deutschen Küche mit ihren so reichlich kulinarischen, regionalen Köstlichkeiten deutlich schärfen. Prof. Volkmar Nüssler vom Tumorzentrum München, ein geradezu fanatischer Anhänger des Tantris, brachte mit seinem Vortrag eigentlich ganz selbstverständliche Dinge wieder voll ins Bewusstsein: Auf Fleisch aus Tiertransporten besser verzichten, und wenn Fleisch, dann rotes Fleisch bevorzugen. Wild, das in einer freien, gesunden Natur aufwächst, stirbt beim Schuss des Jägers ohne Stress! Nach Gourmet Nüssler gibt es eindeutig gutes und gesundes Essen, wenn man bei der Auswahl der Produkte, beim Einkaufen, beim Kochen und dann beim Speisen („Nicht schlingen“, „die Menge ist das Gift“) ein paar grundlegende Dinge beachtet: „Gutes Essen kann nicht billig sein.“ Für Tumorpatienten hat Prof. Nüssler mit Witzigmann nun eine Koch-App entwickelt (Healthy Food), die im kostenfrei im App-Store abrufbar ist.
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Reichlich Inhalt bot das Symposium des Internationalen Eckart Witzigmann Preis also, der sich auch gut auf einen kompletten Symposiums-Tag ausweiten lassen könnte. Beim anschließenden Abendessen im BNM Restaurant bei Mike Emmerz und André Wöhner blieb dann noch ausreichend Zeit, um bei Saibling und köstlichem Rind die Thematik weiter zu vertiefen: Die deutsche Küche ist ein ein offener Prozess, den die Witzigmann Academy weiter begleiten wird. Zum Symposium u.a. auch gesichtet: Jurymitglied und Tantris-Guru Fritz Eichbauer, SZ-Gourmet-Redakteur Franz Kotteder und der Berliner ‚Wurstsack‘ Hendrik Haase.